Matthias Dudde M. A.

Historiker

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Leseproben

Kleinzechen im südlichen Ruhrgebiet nach 1945

In Witten wird eine neue Kleinzeche errichtet

aus: industrie-kultur 1/1999 S. 37

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Das Westfälische Industriemuseum wird am Museumsstandort Zeche Nachtigall die Industriekultur der Kleinzechen präsentieren: Besondere Herausforderungen sind dabei der temporäre Charakter und die Typenvielfalt der Betriebe.

In der großen Kohlennot der direkten Nachkriegszeit 1945/46 besannen sich die Menschen im südlichen Ruhrgebiet auf die zum Teil bis zu Tage tretenden Kohlenvorräte. In zahlreichen Schürfstellen und aus reaktivierten alten Schacht- und Stollenanlagen wurden hauptsächlich Anthrazit- und Eßkohlen gewonnen. Befördert durch die alliierte Quotierung des Großbergbaus und die Energiekrise während des Koreakriegs entwickelte sich aus diesem Kohlenabbau zu Beginn der 1950er Jahre ein umfassender Kleinbergbau. Er erstreckte sich von den südöstlichen Dortmunder Vororten über die Städte Wetter, Witten, Sprockhövel und Hattingen bis in die südlichen Stadtteile Bochums und Essens. 1951/52 erreichte die Kohlenförderung ihren Höhepunkt: Ungefähr 300 Betriebe mit 5800 Beschäftigten brachten annähernd 1,9 Millionen Tonnen zu Tage. Dies entsprach 1,6 Prozent der Gesamtförderung des Ruhrgebiets. Der weitaus größte Teil dieser Anlagen stellte bedingt durch die aufziehende Kohlenkrise zum Ende der 1950er Jahre den Betrieb wieder ein. Abgesichert durch langfristige Lieferverträge existierten einige Zechen dieser Art bis in die 1970er Jahre. Eine der letzten war die Kleinzeche Egbert, deren Fördergerüst noch heute existiert.

Der Abbau entlang der Ruhr war nach der "Nordwanderung" des Bergbaus für die großen Unternehmen ökonomisch nicht mehr attraktiv. Die Betreiber der Kleinzechen planten die Förderung oft nur für wenige Monate, bis die Restkohlenvorräte erschöpft waren. Der Aufwand war für sie lohnend, da sich durch die alliierten Beschränkungen und die Energieknappheit der aufstrebenden Bundesrepublik ein zweiter Kohlenmarkt mit deutlich höheren Preisen etabliert hatte. Neben ortsansässigen Kohlenhändlern, die sich auch im Abbau engagierten, kamen viele "Glücksritter" ins Ruhrgebiet, um "Zechenbesitzer" zu werden: zum Beispiel der Geschäftsführer einer Näherei aus Rheine oder ein Anwalt aus Berlin.

Kleinzeche Egbert

Kleinzeche Egbert, Herbede-
Kämpen
(Foto: Westf. Industriemuseum,
Dortmund)

Entsprechend der geplanten kurzen Betriebszeiten der Klein- und Kleinstzechen wurden auch die Förderanlagen nur für wenige Monate errichtet. Dominierende Formen waren: der Abbau im Stollen, der Dreibaum und ein vierstütziges Holzgerüst über einem tonnlägigen oder senkrechten Schacht. Mit Hilfe von Haspeln wurden Fördergefäße rutschend auf einer Holzbank oder mit Rollen auf einer Schiene in den Schacht abgelassen. Die einfachen Fördergefäße wurden zumeist direkt oder über Kippvorrichtungen in Förderwagen oder Lkws entleert. Lkws setzten sich, angesichts der fehlenden und teuren Transportkapazitäten der Eisenbahn, in der weiteren Verteilung dieser Kohle - teilweise bis in die süddeutschen Städte - durch. Der Besitz eines Lkws wurde oft zum Ausgangspunkt der Errichtung eines Betriebes und stellte die Basis für den ökonomischen Erfolg der Kleinzechen dar. Somit spiegeln diese Unternehmungen den in den 1950er Jahren einsetzenden Strukturwandel des Transportwesens wider.

Kleinzeche Ingeborg

Kleinzeche Ingeborg II,
Herbede 1957
(Foto: Westf. Industriemuseum,
Dortmund)

Die auf kurze Betriebszeiten mit einfachen Förderanlagen ausgelegten Kleinzechen hinterließen kaum bauliche Überreste. Somit steht am Museumsstandort Zeche Nachtigall die exemplarische Inszenierung und die Rekonstruktion dieser Anlagen im Mittelpunkt. Neben dem schon vorhan- denen "Besucherstollen" ist ein Dreibaum mit Lkwzufahrt geplant. Überlieferte Planzeichnungen und Bilder der Kleinzeche "Ingeborg" aus dem Jahre 1957 dienen als Vorlage für die Rekonstruktion. In einer Ausstellung werden die politischen und wirtschaftlichen Begleitumstände, die Arbeitsbedingungen der Bergleute sowie die Lebenswege der Kleinzechenunternehmer dargestellt werden. Darüber hinaus erschließen museumspädagogische Angebote die Geschichte der Kleinzechen für verschiedene Besuchergruppen.

Zu diesem Zweck wurden bereits Zeitzeugen befragt sowie Dokumente und Fotos aus privaten und öffentlichen Archiven ausgewertet. Vor allem die private Überlieferung ist eine wichtige Quelle für die Geschichte der Kleinzechen. Wer mit seinen Erinnerungen, Fotos und Hinweisen weiterhelfen möchte, wende sich bitte an:

Frau Ingrid Telsemeyer, Westfälische Industriemusem, Zeche Zollern II/IV, Grubenweg 5, 44388 Dortmund, Tel.: 0231 69 61 134.

Matthias Dudde und Stefan Nies

Industrie-Kultur
Magazin für Denkmalpflege, Landschaft, Sozial-, Umwelt- und Technikgeschichte